Vor nicht allzu langer Zeit war Design eine klare Sache: Man öffnete Figma oder Sketch, zeichnete Rechtecke, platzierte Buttons, arbeitete sich durch Grids und Spacing-Systeme. Stunde um Stunde wurde an Layouts gefeilt, Komponenten dupliziert, Abstände korrigiert. Es war handwerklich, manchmal mühsam – aber es war vertraut.
Dann kam KI. Und plötzlich kann man in Figma einen Prompt eingeben wie “Erstelle mir eine Produktseite mit Hero-Bereich, drei Features und einem CTA” – und Sekunden später steht ein Layout da. Komplett. Mit Komponenten aus dem Designsystem. Bereit zum Verfeinern.
Das erste Gefühl ist oft Begeisterung. Das zweite: Unbehagen. Wenn KI das kann – was bleibt dann noch für Designer übrig?
Die Antwort ist überraschend klar: mehr als je zuvor. Aber etwas anderes.
“KI übernimmt die Muster. Designer schaffen die Bedeutung.”
1. Was KI bereits übernimmt: Die wiederkehrenden Muster
KI-Tools wie Figma Make, Adobe Firefly oder Midjourney sind beeindruckend gut darin, das Bekannte zu reproduzieren. Sie kennen UI-Muster, Design-Konventionen, typische Layouts. Ein Card-Grid? Kein Problem. Eine Navigation mit Dropdown? Sofort da. Responsive Breakpoints? Werden mitgedacht.
Das liegt daran, dass KI auf Millionen existierender Designs trainiert wurde. Sie erkennt, was “normal” aussieht – und kann es schneller zusammensetzen, als ein Mensch die erste Komponente gezogen hat.
Was das bedeutet:
- Wireframes entstehen in Sekunden statt Stunden
- Erste Prototypen sind sofort testbar
- Designvarianten lassen sich auf Knopfdruck erzeugen
- Repetitive Aufgaben wie Spacing-Korrekturen oder Konsistenzprüfungen werden automatisiert
Für viele Designer fühlt sich das zunächst wie eine Bedrohung an. Tatsächlich ist es eine Befreiung – von genau den Aufgaben, die niemand wirklich liebt. Niemand wird Designer, um zum 47. Mal denselben Button zu platzieren.
2. Was KI nicht kann: Eigenständige, emotionale Erlebnisse schaffen
Hier wird es interessant. Denn sobald es nicht mehr um Standard-Muster geht, sondern um Eigenständigkeit, Emotion, Überraschung – stößt KI an ihre Grenzen.
KI kann eine Produktseite generieren, die aussieht wie tausend andere Produktseiten. Aber sie kann keine Markenidentität erfinden, die im Gedächtnis bleibt. Sie kann ein Layout vorschlagen – aber nicht entscheiden, ob dieses Layout die richtige Geschichte erzählt, ob es Vertrauen aufbaut, ob es Menschen berührt.
Designer werden gebraucht für:
- Konzepte, die neu sind – nicht nur Varianten des Bestehenden
- Interfaces, die eine Haltung haben, eine Persönlichkeit
- Nutzererlebnisse, die nicht nur funktionieren, sondern begeistern
- Entscheidungen, die auf Empathie basieren, nicht auf Wahrscheinlichkeiten
KI ist ein Werkzeug der Durchschnitte. Designer sind Experten für das Besondere.
Wer jemals ein Interface gesehen hat, das einen wirklich überrascht hat – sei es durch Mut, Reduktion oder ungewöhnliche Interaktion – weiß: Das kam nicht aus einem Algorithmus. Das kam von einem Menschen, der eine Vision hatte.
3. Die neue Rolle: Vom Handwerker zum kreativen Regisseur
Was sich gerade vollzieht, ist eine Verschiebung der Designer-Rolle. Weg vom reinen Handwerk – hin zu kreativer Strategie und künstlerischer Vision.
Früher:
- Designer erstellen Layouts, Komponenten, Screens
- Fokus auf Pixel-Perfektion und technische Umsetzung
- Viel Zeit für Wiederholungen und Anpassungen
Heute und morgen:
- Designer kuratieren KI-Vorschläge und entwickeln sie weiter
- Fokus auf Konzept, Storytelling, Nutzererfahrung
- Zeit für Experimente, Exploration, strategisches Denken
Man könnte sagen: Designer werden von ausführenden Gestaltern zu kreativen Regisseuren. Sie geben die Richtung vor, treffen die wichtigen Entscheidungen – und lassen KI die Routinearbeit erledigen.
Das ist kein Verlust. Das ist eine Aufwertung.
4. Designer und Code: Eine neue Nähe
Ein weiterer spannender Effekt der KI-Integration: Die Grenze zwischen Design und Code verschwimmt.
Tools wie Figma generieren nicht nur Layouts, sondern auch Code. KI-Assistenten wie GitHub Copilot oder v0.dev können aus Designs direkt lauffähige Komponenten bauen. Designer, die bisher nur visuell gedacht haben, können plötzlich interaktive Prototypen erstellen – ohne jede Zeile manuell zu schreiben.
Das verändert die Zusammenarbeit:
- Designer können Ideen schneller validieren
- Der Übergabeprozess zu Entwicklern wird nahtloser
- Dynamische, personalisierte Interfaces werden einfacher umsetzbar
- Designer verstehen technische Möglichkeiten besser
Wer als Designer auch nur grundlegendes technisches Verständnis mitbringt, kann KI als Brücke nutzen – zwischen Vision und Realität, zwischen Skizze und fertigem Produkt.
5. Webseiten vs. KI-Chatfenster: Was bleibt relevant?
Eine Frage, die viele umtreibt: Braucht es überhaupt noch klassische Webseiten, wenn KI-Chatbots Informationen schneller liefern können?
Die Antwort ist differenziert. Ja, für schnelle Abfragen – “Wann hat der Laden auf?” – reicht ein Chat. Aber für alles, was Tiefe, Kontext, Atmosphäre braucht, bleibt die Website unersetzlich.
Eine gut gestaltete Website ist mehr als Informationsübermittlung. Sie ist:
- Ein Erlebnis, das Marke fühlbar macht
- Eine Bühne für visuelle Geschichten
- Ein Raum für Entdeckung und Exploration
KI-Chats sind funktional. Websites sind emotional. Beide haben ihre Berechtigung – aber sie ersetzen sich nicht. Sie ergänzen sich.
Was sich verändert: Websites müssen interaktiver, personalisierter, lebendiger werden. Statische Seiten, die nur Text anzeigen, verlieren tatsächlich an Wert. Aber Seiten, die Menschen einbeziehen, überraschen, begleiten – die bleiben.
6. Tools wie Figma: Werden sie überleben?
Figma ist nicht bedroht. Im Gegenteil: Figma hat KI bereits integriert und macht sich zur Plattform für KI-gestütztes Design.
Aber die Rolle solcher Tools verschiebt sich:
- Nicht mehr nur “Zeichenwerkzeug”
- Sondern KI-Co-Creation-Plattform
- Mit Automatisierung, Vorschlägen, Echtzeit-Kollaboration
Was sterben wird, sind Tools, die stur am alten Modell festhalten. Was überlebt, sind Plattformen, die KI als Partner begreifen – nicht als Bedrohung.
Gleichzeitig könnte eine Konsolidierung eintreten. Weniger, dafür stärkere Tools. Aber das ist nicht neu – das passiert in jeder Technologie-Welle.
7. Was Designer jetzt lernen müssen
Wer als Designer relevant bleiben will, sollte in diese Fähigkeiten investieren:
Kreative und künstlerische Kompetenz
Die Fähigkeit, eigenständige, emotionale Nutzererfahrungen zu schaffen. KI kann kopieren – nicht erfinden.
KI-Kompetenz
Verstehen, wie KI funktioniert, wie man sie steuert, wie man KI-Vorschläge bewertet und weiterentwickelt. KI ist das neue Werkzeug – Designer müssen es beherrschen.
Technisches Verständnis
Mindestens Grundkenntnisse in Code, um Design und Entwicklung besser zu verbinden. Nicht programmieren können – aber verstehen, was möglich ist.
Kommunikation und Problemlösung
Die Fähigkeit, komplexe Anforderungen in nutzerzentrierte Lösungen zu übersetzen. Designer werden zu Übersetzern zwischen Mensch und Technologie.
Anpassungsfähigkeit
Die Bereitschaft, ständig zu lernen. KI entwickelt sich rasant – wer stehen bleibt, wird abgehängt.
Ein Blick nach vorn: Die Zukunft gehört den kreativen Visionären
Was gerade passiert, ist keine Verdrängung. Es ist eine Neuerfindung der Designer-Rolle.
Ja, KI übernimmt die Muster. Ja, Automatisierung ersetzt Routinearbeit. Aber das macht Raum frei – für das, was Design wirklich ausmacht:
- Vision statt Wiederholung
- Bedeutung statt Pixel
- Erlebnisse statt Layouts
Die Designer, die das verstehen und annehmen, werden nicht verschwinden. Sie werden wichtiger. Weil sie nicht mehr nur Oberflächen gestalten – sondern Beziehungen zwischen Menschen und Technologie.
Und das kann keine KI ersetzen. Das braucht Empathie, Intuition, Mut. Das braucht Menschen.
Die Zukunft des Designs ist nicht weniger menschlich. Sie ist menschlicher denn je – nur mit besseren Werkzeugen.
Hoffe ich.
Die Schattenseite: KI-Slop und die Verantwortung der Designer
Denn es gibt auch ein anderes Szenario. Eines, das bereits Realität wird.
Wenn auf der einen Seite die Kreativität vollständig der KI überlassen wird – was passiert dann mit der anderen Seite, dem Konsumenten? Eine Überflussgesellschaft in Sachen Wohlstand ist noch nicht in Sicht. Aber was KI-Slop angeht – generische, austauschbare, seelenlose Inhalte – ist sie leider bereits da.
Websites, die aussehen wie tausend andere. Layouts, die technisch funktionieren, aber nichts vermitteln. Texte, die korrekt sind, aber nicht berühren. Designs, die von Algorithmen optimiert wurden – auf Klickraten, nicht auf Bedeutung.
Das ist die Gefahr: Design als Massenware. Produziert in Sekunden, konsumiert in Sekunden, vergessen in Sekunden.
Wer trägt die Verantwortung?
Die Antwort ist unbequem: Wir alle. Designer, die KI als Abkürzung statt als Werkzeug nutzen. Unternehmen, die Quantität über Qualität stellen. Plattformen, die Masse belohnen statt Substanz.
KI macht es erschreckend einfach, mittelmäßige Arbeit zu produzieren. Hunderte Varianten, alle “okay”, keine herausragend. Und weil es so einfach ist, wird es gemacht.
Das Ergebnis:
- Eine digitale Welt voller austauschbarer Erlebnisse
- Nutzer, die abstumpfen, weil alles gleich aussieht
- Ein Wettrennen nach unten – wer am billigsten produziert, gewinnt
Das ist das Gegenteil von dem, was Design sein sollte.
Der Weg zurück zur Bedeutung
Die einzige Antwort darauf ist bewusster Widerstand. Designer müssen die Verantwortung übernehmen, nicht alles zu produzieren, was möglich ist – sondern das zu schaffen, was bedeutsam ist.
KI als Werkzeug nutzen – aber nicht als Ausrede. Effizienz gewinnen – aber nicht auf Kosten von Substanz. Schneller arbeiten – aber nicht oberflächlicher.
Konkret heißt das:
- KI-Vorschläge hinterfragen, nicht blind übernehmen
- Zeit für echte Konzeptarbeit nehmen, nicht nur Layouts produzieren
- Mut zu Designs haben, die anders sind – auch wenn KI das Gegenteil vorschlägt
- Nein sagen zu Projekten, die nur auf Masse setzen
Die Zukunft des Designs ist nicht vorbestimmt. Sie hängt davon ab, wie wir KI nutzen.
Als Verstärker menschlicher Kreativität – oder als Ersatz dafür.
Die Wahl liegt bei uns. Noch.